Kandaren

Betrachtet man die Gebisstafeln aus historischen Quellen so fällt die unglaubliche Vielfalalt und die aufwendige und kunstvolle Gestaltung auf. In eingen Büchern werden mehr als hundert Typen abgebildet. Metallprodukte waren damals vergleichsweise sehr teuer, man verwendete also viel Aufmerksamkeit aber auch viel Geld auf die Zäumung.
Alle Gebisse hatten sehr lange Unterbäume und eine hohe Zungenfreiheit. Von den heute im Reitsporthandel erhältlichen Kandaren kommt nur das Team-Gebiss diesen Abbildungen nahe. Es wurde von Linda Tellington-Jones eingeführt, sie nennt es ein "Korrekturgebiss für Reiter mit harter Hand". Ich habe dieses Gebiss oft benutzt und war zunächst von der positiven Wirkung auf Pferde verschiedensten Charakters überrascht. Die Kommentare anderer Reiter beim Anblick Zäumung waren allerdings meistens ablehnend. (z.B.: "Was hast du denn da für ein scharfes Gebiss? Geht dein Pferd nicht mit einer Trense?" Ich antworte dann meistens: "Es gibt keine scharfen Gebisse sondern nur Reiter, die nicht unabhängig von der Hand sitzen und mit ungeschickten, harten Händen einwirken." Tatsächlich kann man ein solches Gebiss nicht missbrauchen. Ein dauerhafter Druck von einigen Kilogramm, wie er von einem Reiter ausgeübt wird, der sich am Zügel festhält, wird von keinem Pferd akzeptiert. Es reagiert heftig oder wird apathisch (stätig).

Bei der Beurteilung der Wirkung solcher Gebisse sollte man sich zunächst an die Hebelgesetze erinnern. Diese besagen: je länger der Unterbaum um so weichere Einwirkung ist möglich. Bei gleichbleibender Kraft am Zügel halbiert sich die Wirkung wenn man die Länge des Unterbaum verdoppelt. Die im Dressursport oft verwendete sogenannte Baby-Kandare mit 5 cm langen Unterbäumen wirkt also schärfer als die mit 10cm langen.

Eine hohe Zungenfreiheit ermöglicht eine für das Pferd angenehmere, tiefere Lage der Kandare im Pferdemaul, so dass die Maulwinkel nicht hochgezogen werden müssen, was die klassischen Autoren nicht wünschen.


Aus der Enzyklopaedie von: Enzyklopaedie von Diderot und D'Alembert
Diese Tafel zeigt die von Guérinière verwendeten Gebisse. Zunächst scheint mir nicht allgemein bekannt zu sein, dass auch sein Standardgebiss wie das der anderen Autoren gebrochen war (wie ein Pallham). Ein ungebrochenes Gebiss beschreibt er als härter einwirkend.

Besonderes Gewicht legte man auf die Winkelung der Unterbäume. Stärker gegen den Pferdeleib gewinkelte Unterbäume vermindern durch deren Eigenschaft, sich unter den Einfluss der Schwerkraft senkrecht einzustellen, den von der Kinnkette ausgübten Druck und bringt die Pferdenase voran. Nach vorn gewinkelte Unterbäume bewirken das Gegenteil. Man versuchte so die Beizäumung nicht durch die Einwirkung der Reiterhände, die auch bei versierten Reitern nicht ganz unbeweglich sind, zu regulieren sondern durch die Stellung der Unterbäume. Die dabei auf die Kinnkette übertragenen Kräfte sind sehr gering (wenige Gramm, wogegen selbst bei renomierten Dressurreitern Kräfte zwische 10 und 20 Kilogpond gemessen wurden), Pferde reagieren aber durchaus auf feinste Einwirkungen, und tragen ihren Kopf so, dass sie den geringstmöglichen Druck der Kinnkette fühlen.
So werden die Darstellungen von Reitern, die immer mit deutlich durchhängenden Zügeln ihre Pferde lenken, glaubhaft.

Bei genauer Betrachtung der Bilder sowie von Museeumsstücken, wie man sie z.B.: in dem sehenswerten Marstall-Museeum der Fürstlichen Hofreischule in Bückkeburg sehen kann, sind einige Details erkennbar, die man an den heute gehandelten Gebissen nicht findet.
  • 1. Die Gebisse sind an der Stelle, an dem sie auf den Laden wirken, sehr dick ( mehr als 20 mm ).
  • 2. Der Querschnitt ist dort nicht ein Kreis sondern ein flaches Oval, das dort wo es auf den Laden aufliegt 30 mm breit ist.
  • 3. Die Kinnketten sind breiter und bestehen aus großen, dicken Ringen.
  • 4. Die Gebisse sind an den Bäumen nicht rechtwinklig angesetzt, sondern schräg aufwärts.
  • 5. Die Bäume sind sehr lang ( Oberbaum ca. 8 cm, Unterbaum ca. 20 cm).


Aus:Guérinière: Ecole de Cavallerie
Diese Besonderheiten scheinen mir bedenkenswert. Ich bin sicher, dass die Reitmeister des Barock ihr Handwerkszeug für die Schulreiterei sorgfälltig und mit Überlegung gestaltet haben undh glaube nicht, dass wir heute bessere Kenntnisse besitzen. Es wäre nicht das erste Mal, dass wertvolle Erkenntnisse und Praktiken in Vergessenheit geraten sind. Die Sportreiterei nach FN-Richtlinien ist geprägt von der militärischen Praxis (Kandare mit Unterlegtrense) wie sie im 19. Jahrhundert entwickelt wurde und alle Gebisse, die wir heute benutzen stammen aus dem militärischen Bereich und sind für die dortigen Anforderungen gestaltet.
Sie sind auch nicht etwa Erfindungen des 19. Jahrhunderts sondern waren schon Guérinière bekannt.
Im Kapitel "Von der Zäumung" finden wir:

"Man hat noch einen alten Zaum,... Es ist eine Art Husarengebiss mit sehr kurzen Bäumen. Diese sind, wie auch bei den anderen, in verschiedener Gestalt gemacht. Zuweilen haben sie die Wendung eines lateinischen S, bald sind sie ganz gerade. Wegen der minderen Schwere kann dieser Baum bei kleinen Pferden und bei Läufern, wenn sie ein gutes Maul haben, hingehen".

Wer heute die barocke Schulreiterei wiederbeleben möchte sollte wir zumindest eine Erprobung der historischen Gebisse ins Auge fassen.

  • 1. Eine runde Stange von 14 mm Durchmesser drückt schärfer auf den Laden des Unterkiefers als ein flaches Oval mit den Massen 30 mal 10 mm.
  • 2. Das flache Oval sperrt das Pferdemaul nicht unnötig auf.
  • 3. Breitere Kinnketten vermindern den Druck in der Kinnkettengrube.
  • 4. Dieses Detail erscheint mir besonders interessant. Das Gebiss kann tiefer im Pferdemaul liegen, so dass die Lefzen nicht hochgezogen werden. Durch die schräg nach oben führenden Teile wirken diese aber weiter oben auf die Zunge, und verhindern, dass sie über das Gebiss kommt.
  • 5. Lange Unterbäume ermöglichen feines Einwirken. Die Hand jedes Reiters schwingt mehr oder weniger im Rhytmus der Pferdebewegung. Diese unvermeidbare Einwirkung am Zügel ist für das Pferd um so angenehmer je länger die Unterbäume sind.
    Der Druck, den Kinnkette und Stange ausüben, wird nicht durch die absolute Länge des Untebaums sondern durch das Verhältnis der Längen von Ober- und Unterbaum bestimmt.

Barocke Reitkunst lässt sich wie folgt beschreiben

:

Die Kandare reguliert ohne Einwirken der Reiterhand die Beizäumung durch die Winkelung der Unterbäume wie Guérinière es beschreibt. Das Pferd arrangiert sich mit dem Zusammenspiel aus dem Kontakt der Kinnkette, dem Gewicht der Unterbäumen und dem so erzeugten Kontakt des Gebisses auf den Laden bei entspannten durchhängenden Zügeln.

die linke Hand hält beide Zügel ohne Druck und schwebt unverrückbar über dem Widerist. Die Richtung bestimmt der Reiter durch Drehen der Hand und Anlegen des äußeren Zügels an den Hals des Pferdes.

Die Zügelhilfen können so im Idealfall aus einem spannugslosen Grundzustand sehr fein erfolgen (Weber-Fechnersches Gesetz). Die rechte Hand hält nur die aufgestellte Gerte, darf aber falls nötig in den rechten Zügel greifen. Der Reiter lenkt das Pferd durch Körpereinsatz aus der Mittelpositur.

Eine präzise und glaubhafte Beschreibung solcher Reitweise findet man in dem Buch:
Unbekanntes aus der spanischen Hofreitschule
aus dem Olms-Verlag (ISBN 3-487-08374-4)
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