Um das Jahr 1720 entstand ein Manuskript, das aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Oberbereiter an der Wiener Hofreitschule Johann Christoph v. Regenthal geschrieben wurde. Er beschreibt darin ausführlich die Reitkunst seiner Zeit. Ein Kapitel trägt den Titel Annotation eines vollkommen dressierten Pferdes. Hierin beschreibt er idealtypisch die Reitweise, den Sitz und die Hilfengebung, wie sie den Reitern des Barock als Ziel vorgeschwebt haben muss. Wenn wir heute barocke oder auch klassisch-barocke Reitweise wieder beleben wollen, findet sich hier eine gute Beschreibung dessen, was das Ziel sein sollte.


Ich habe den Originaltext aus dem für uns ermüdenden Wienerisch von 1720 in heutige Sprechweise übertragen.


Beschreibung eines vollkommen ausgebildeten Pferdes


Unter den von mir ausgebildeten Pferden befinden sich viele, die die Gedanken des Reiters ausführen. Man sieht keine Handeinwirkung, die Zügel hängen durch als würde keinerlei Zug ausgeübt und trotzdem tragen die Pferde ihren Kopf in in schönster Haltung wie man es sich wünscht. Durch die kleinste Wendung des Reiterkörpers und der Hand führt das Pferd seine Wendungen aus.

Zu der Zeit, in der ich dies schreibe habe ich viele Pferde, die sich allein durch den Körper lenken lassen. Die Zügel nehme ich in die linke Hand die ich vor den Leib trage und bewege sie von dort nur sehr wenig. In dieser Haltung reite ich mein Pferd in weiten und engen Wendungen, redoppiere es voran und auf der Stelle, reite Volten vom Durchmesser einer Pferdelänge, reite eine gestreckte Karriere und halte daraus auf der Stelle. All dies erreiche ich allein mit meinem Körper. Je mehr ich beschleunigen möchte desto mehr beuge mich vor, je versammelter ich reiten möchte desto mehr lege ich mich zurück. So reite ich allein mit dem Körper ohne dass die Hand sich um mehr als einige Millimeter aus ihrer Stellung bewegt. Will ich im starken Galopp reiten beuge ich mich in Richtung Pferdehalses vor, um zu halten lege ich mich zurück. Will ich nach links wenden nehme ich die rechte Schulter vor, bei Wendungen nach nach links die rechte Schulter. So wende ich das Pferd auf kleinstem Radius. Alles dies bisher beschriebene ist keine Theorie sondern ich habe es oft vor meinem Publikum ausgeführt.

Dieser vollkommene Gehorsam des Pferdes ist keineswegs der Kandare zuzuschreiben sondern allein der sinnvollen Methode und ihrer konsequenten Ausführung. Die Bäumen müssen den Kopf des Pferdes einschienen, das Mundstück sich dem Maul anpassen womit die ganze Beizäumung erreicht wird.

Niemand sollte sich einbilden, er könne ein Pferd mit dem er nicht fertig wird, mit der Kandare verbessern. Nur ein guter Reiter, der nach diesen Regeln arbeitet, wird es korrigieren können. Hier ist noch anzumerken dass durchhängende Zügeln eine vernünftige Verbindung zum Pferdemaul herstellen und zu korrekter Beizäumung führen. Wenn auch ein Reiter mit der Hand einmal deutlicher einwirkt wird sich ein so ausgebildetes Pferd nicht entziehen oder verweigern sondern sich fügen. Ein Pferd, das auf diese Weise vernünftig an das Gebiss gewöhnt ist, gute Verbindung zur Reiterhand hat und seinen Kopf korrekt trägt, lässt sich von jedermann reiten. Auch wenn es einmal mit nicht so geschickter Hand geführt wird es sich nicht beirren lassen sondern sich dem Reiter anpassen. Wenn es sich dann mit korrekter Hankenbiegung bewegt wird es auch unter Druck nicht aus aus dieser Haltung gebracht werden können. Sobald allerdings der Rahmen des Pferdes außer Form gerät, es die Nase zu hoch oder zu tief trägt, wird es verwirrt sein und ungehorsam werden. Das Wichtigste ist, dass das Pferd nahezu allein durch die Einwirkung des Gebisses die korrekte Beizäumung einnimmt. Die Meisten lassen die Zügel andauernd zu lang.und haben kein Gefühl in der Hand, das man braucht um zu wenden und zu parieren ohne dass das Pferd den Kopf hoch reißt und den Reiter gefährdet. Sie reden dann immer noch von einem guten, weichen Maul, und verdienen es nicht besser. So ein Pferd ist niemals sicher sondern immer gefährlich, besonders wenn es empfindlich ist. Es ist kaum noch zu beeinflussen und entzieht sich dem Reiter. Es ist schlimm, dass man täglich auch die größten Herren auf solchen verdorbenen Pferden reiten sieht, worüber ich mich immer wundere.


ISBN 3-487-08374-4