Federigo Grisone

Ordini di cavalcare Der Titel der deutschen Ausgabe von 1570: Künstlicher Bericht und allerzierlichste Beschreibung wie die streitbarn Pferdt zum Ernst und ritterlicher Kurzweil geschickt und vollkommen zu machen (in Druck verfertigt durch Johann Fayser den Jüngeren)
Die "Übersetzung", ohne Zweifel ist ein meisterhaft erstelltes Druckwerk, ist mit Vorsicht zu lesen. Alle Holzschnitte sind neu und verändern den Gesamteindruck des italienischen Originals erheblich. Der deutsche Übersetzer hat vieles hinzugefügt und die Texte in eine völlig neue Reihenfolge gebracht.

Also das ich darauf syluam materiae/ das ist die ganze Handlung und lehr/ zu handen genommen/ dieselbigen zerfellet/ widerum zusammen gelesen/ und ein jedes Büschelin an seinen gebührenden/ und soviel mir ersehentlich wohlstendigen ort getragen/ oder gleich versetzet.

Der italienische Titel der Originalausgabe:
Gli Ordini di cavalcare di Federigo Grisone, Gentil´huomo Napoletano. Napoli: Appresso Giovan Paulo Suganappo, 1550

Das Buch wurde sofort mehrmals neu verlegt. Zuerst unter dem Titel:
Ordini di cavalcare, et modi di conoscere le nature de’ cavalli, emendare i vitii loro, & ammaestrargli per l’uso della guerra, & commodità de gli huomini. Venice: Cincenzo Valgrisi, 1552.

Originaltext
Federigo Grisone, der sich als "gentil huommo neapolitano" bezeichnet, ist wohl selbst ein guter Reiter gewesen. In dem Buch von Pasqual Caracciolo, La Gloria del Cavallo (1589), wird er erwähnt. Die Pferde sollen ihm schon beim ersten Besteigen perfekt gehorcht haben, was die Umstehenden so begeistert haben soll, dass sie seine Ratschläge wie andere den Rat des delfischen Apolls gesucht hätten. Er hat das Wissen seiner Zeit aus eigener Erfahrung und von anderen zusammen getragen. Genaueres weiß man leider nicht über seine Rolle an der dortige Reitakademie, die in ganz Europa berühmt war. Er wird in der Literatur als Begründer der "neuzeitlichen" Reiterei bezeichnet. Für diese Annahme gibt es allerdings keinerlei Hinweis. Er ist aber der Verfasser des ersten ausführlichen Buches über die Reiterei, sieht sich aber selbst als Beschreiber und Bewahrer, nicht als Neuerer. Die schnelle Verbreitung des Werkes und die vielen Nachdrucke beweisen die große Bedeutung der Reitkunst für seine Zeitgenossen.

Im Italien der Renaissance gab es auch vor Grisone viele Reitakademien, und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Reitkunst nicht zu ähnlich hoher Blüte entwickelt worden war wie die bildenden Künste, Dichtung und Musik.

Über die Reitkunst vor 1500 gibt es kaum schriftlichen Quellen. Die Scholastiker hatten kein Interesse an der Beschreibung alltäglicher Dinge. Erst in der Renaissance begann man, sich mit der enzyklopaedischen Darstellung der Wirklichkeit zu beschäftigen. Auch Grisones Buch ist keine Reitlehre im heutigen Sinn sondern eine umfassende und detaillierte Beschreibung des gesamten Wissens über Pferde, Reitkunst, Zäumungslehre. Beschlagswesen und Pferdemedizin

Grisones Werk erschien 1570 in Augsburg in deutscher Übersetzung und war weit verbreitet. Leider ist es wegen seiner altertümlichen Sprache sehr mühsam zu lesen. Wahrscheinlich haben das die meisten Autoren von Büchern über die Geschichte der Reiterei auch nicht getan sondern (wie üblich) von ihren Vorgängern abgeschrieben. Eine neue Übertragung ins Deutsche wäre wünschenswert.

Eines der ständig wiederholten Vorurteile über den Autor betrifft dessen angebliche Grausamkeit gegenüber dem Pferd. Zwar beschreibt er der Vollständigkeit halber mehrere Möglichkeiten zum harten Strafen, distanziert sich aber davon als allenfalls notwendig in Ausnahmesituationen. Grundsätzlich vertritt er einen Umgang mit dem auszubildenden Pferd, der heute wie zu jeder Zeit durchaus vernünftig ist.

Auf dem allen sollt tu wissen/ das derjenige so ain Pferdt/ mit denen straffen/ die jedem irrtum insbesonders gebuern/ recht zu straffen weis/ und zu rechter Zeit seine hilff zu geben/ dieselbigen zu mehren oder zu mindren/ nach dem es die not und gelegenhait erfordert/ und im auch wais zu rechter zeit schön zu thun/ sich wol in dieser kunst einen berümten Reutter nennen mag.

Grisone lehnt jeden Zwang mit vernünftigen, tierpsychologisch begründeten Argumenten ab.
Seine Beschreibung der Pferdehaltung kann uns heute nur zum Vorbild dienen.
Die immer wieder als "Marterinstrumente" bezeichneten Kandaren sind mit höchster Kunstfertigkeit gestaltet und wirken nur für solche Reiter bedrohlich, die Zügel ständig mit Ziehen in Verbindung bringen. Handhabt man die abgebildeten Gebisse aber korrekt (Ohne Druck, mit leicht durchhängenden Zügeln), sind sie für das Pferdemaul wesentlich angenehmer als das ständige Gezerre an der Wassertrense. Denkt man sich die Renaissance-Ornamente weg, gleichen sie der Kandare, die Linda. Tellington-Jones (der wohl niemand besondere Brutalität vorwerfen möchte) entworfen hat.
[Bild 1] [Bild 2] [Bild 3] [Bild 4] [Bild 5]

Zur Beizäumung junger Pferde benutzt Grisone (Wie auch Pluvinel und Gueriniere) das Capezona, eine Art Reithalfer, das mit Zügeln verbunden ist und sich bei deren Annahme zusammenzieht.

Due schön gestaltete deutsche Ausgabe enthält viele Abbildungen die zwar handwerklich gekonnt aber sehr schematisch wirken. Besonders die auffällig steife Haltung der Reiter kann nicht der Wirklichkeit der Renaissance-Reiterei entsprechen und widerspricht dem Text, in dem soviel Wert auf Einfühlungsvermögen und Ungzwungenheit gelegt wird. Dem Zeichner gelingt es nicht, Harmonie zwischen Reiter unf Pferd darzustellen. Andere Bilder aus der Reinaissance belegen, dass es damals gute Reiter mit geschmeidigem tiefen Sitz gegeben hat. Offensichtlich hat der Künstler, wie wir es auch bei Albrecht Dürer finden, formale Gesichtspunkte bei der Gastaltung in den Vordergrund gestellt.

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