Die Versammlung

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Die Kenntnis darüber, was in der Reiterfachsprache hinter dem Begriff Versammlung steckt, ist durchaus verbreitet. Man weiß von Hankenbeugung, vermehrter Lastaufnahme durch die Hinterhand, u.s.w. In jeder Dressurprüfung ab Klasse L werden versammelte Gangarten verlangt und in der Skala der Ausbildung ist Versammlung der letzte Punkt. In der real existierenden Dressurreiterei scheint das Bestreben, sein Pferd zu vesammeln, allerdings kaum noch vorhanden zu sein. In den meisten Fällen sieht man Reiter, die getreu dem oft falsch verstandenen Steinbrecht'schen Motto: "Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade" in überhöhtem Tempo angestrengt Runde um Runde durch die Bahn hetzen und sich vergeblich bemühen ihr Pferd mit grober Handeinwirkung zusammenzuhalten.
Warum dies so ist hat viele Gründe? Der häufigste scheint mir zu sein, dass heute weder Ausbilder, noch Reiter jemals das Vergnügen hatten, ein Pferd unter dem Sattel zu erfühlen, das es gelernt hatte, sich in korrekter Versammlung zu bewegen. Beide werden kaum etwas anstreben, das sie nicht kennen. Dass die Versammlung als letzter Punkt auf der Skala der Ausbildung häufig unerreichbar erscheint, beruht auf dem Missverständnis, man müsse zunächst alle fünf vorhergehenden Stufen der Ausbildungsskala wie auf einer Leiter in Perfektion erreichen, bevor man an Versammlung denken dürfe. Die einzelnen Punkte der Sklala bilden aber ein Beziehungsgeflecht, in dem jeder Punkt jeden anderen beieinflusst und dem Ausbildungsstand des Pferdes entsprechend berücksichtigt und gefördert werden muss. Zum Beispiel kann man ein älteres Pferd bestens in der Piaffe lösen, wenn es diese Lektion zwanglos beherscht, bei der Ausbildung eines jungen Pferdes, von dem man Versammlung natürlich nur in Ansätzen verlangen kann, wird man aber unweigerlich Fehler machen, wenn man keine Vorstellung davon hat, wie sich ein vesammeltes Pferd anfühlt.
Von großer Bedeutung ist meiner Meinung nach, dass sich der Ausbilder darüber klar ist, aus welchen Gründen man überhaupt Versammlung anstrebt. Drei wesentlichen Gründe lassen sich dazu anführen.

  • Gesundheit: Ein Pferd ist für das Tragen von Lasten nicht praedestiniert. Der Rücken ist mehr oder weniger nach unten gewölbt und würde bei Belastung weiter durchbiegen. Auf diese Weise treten häufig Schäden an den Bandscheiben oder Wirbel auf (kissing spines). Hankenbeugung bei leichtem Aufwölben der Wirbelsäule wirk dieser Gefahr entgegen. Das Reitergewicht wird vermehrt durch die kräftigen Muskeln der Hinterhand aufgenommen. An diesem Zusammenhang gibt es kaum Zweifel. Die Pferde der spanischen Hofreitschule in Wien, die hoch in den Zwanzigern noch volle Leistung bringen, sind der Beweis.
  • BequemlichkeitDurch die vermehrter Lastaufnahme der Hinterhand wir das Pferd bequemer. Man kann es im Trabe besser aussitzen, weil seine Bewegungen elastischer, weicher und vor allem langsamer werden. Während nähmlich im Arbeitstrab das Tempo meistens eiliger als 160 Tritte pro Minute ist, wird der versammelten Trab im Tempo 145 und langsamer geritten. Dieser Unterschied genügt. um dem Reiter weiches Einsitzen zu ermöglichen, so dass seine und des Pferdes Wiberlsäule geschont und gekäftigt werden. [Dazu etwas Physik]
  • SchönheitNur durch Förderung der Versammlung wird ein Pferd schöner. Es kann sich nirgentwo so erhaben und kraftvoll präsentieren wie in einer korrekt ausgeführten Piaffe, ob mit oder ohne Reiter. In der bildenden Kunst wurden Reiter immer auf versammelten Pferden dargestellt, wenn der Mensch durch die Schönheit seines Pferdes aufgewertet werden sollte. Der Hengst zeigt nichts anderes als Versammlung und versammelte Gänge, wenn er sich vor seinen Stuten aufspielen will.
Versammlung kann man auf verschiedenen Wegen anstreben. Im Turniersport versucht man sie durch das Zusammenspiel der treibenden und verhaltenen Hilfen zu bewirken. Versierte Reiter können dabei auf veranlagten Pferden durchaus erfolgreich sein, wenn sie genügend Erfahrung auf gut ausgebildeten Pferden sammeln konnten. Wer dieses Glück nicht hatte wird so kaum zum Erfolg kommen. Zu zahlreich sind die Möglichkeiten, Irrwege zu beschreiten.

Eine grundsätzlich anderer Weg besteht in der konsequenten Anwendung von Seitengängen. Diese Methode, die soweit wir wissen schon in der Renaissance systematisch angewandt wurde, kann unter den Reiter und an der Hand ausgeführt werden. Bei allen Seitengängen beugt das Pferd eines seiner Hinterbeine (z.B. beim Schulterherein links das linke Hinterbein) vermehrt in der Hanke und tritt damit in Richtung des Schwerpunktes, ohne dass der Reiter dies durch vermehrten Schenkeleinsatz bewirken muss.
Zu dieser vermehrten Aktion bedarf es nur der Ausrichtung und Biegung des Pferdes aber keiner meistens mit Spannung und Stress verbundenen besonderen Krafteinwirkung. Das Pferd bearbeitet und kräftigt sein jeweiliges Hinterbein gewissermaßen selbsttätig. Auf diesem Umstand beruht die gymnastizierende Wirkung der Seitengänge. Bei der klassischen Schulpferdeausbildung ging man immer nach diesem Prinzip vor. Auch weniger erfahrene Reiter können so zum Erfolg kommen, da man praktisch nichts falsch machen kann. Allerdings ist der Erfolg nicht von heute auf morgen zu erreichen, sondern stellt sich erst nach Monaten oder Jahren ein. Zusammenziehen kann man ein Pferd in zwei Monaten, es vernünftig und dauerhaft und für normal Begabte nachreitbar auszubilden dauert mindestens zwei Jahre.
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