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Das meistgelesene Buch der Renaissance war Baldassare Castigliones (1478-1529) Il libro del cortegiano. Er war der Sohn einer Adelsfamilie mit der zeitgemäßen umfassende Erziehung am Hof Ludovico Sforzas in Mailand. Er stand im Dienst bedeutender Herrscher wie Francesco Gonzagas (Markgraf von Mantua) oder Guidobaldo da Montefeltros (Herzog von Urbino) und wurde 1513 als Botschafter des neuen Herzogs von Urbino, Francesco Maria I. della Rovere, an den päpstlichen Hof nach Rom gesandt. Er war mit Raffael befreundet, der ihn in einem berühmten Porträt (1516, heute Louvre, Paris) als feinsinnigen Hofmann darstellte. Castiglione erarbeitete gemeinsam mit Raphael ein Memorandum, das die Erhaltung der römischen Antiken zum Gegenstand hatte. Vier Jahre vor seinem Tod ging er als päpstlicher Nuntius nach Spanien, wo er starb.
'Il Libro del Cortigiano', das 'Buch vom Hofmann', ist in der Zeit zwischen 1508 und 1516 entstanden und 1528 in Venedig gedruckt worden. In einem informellen Gespräch lässt Castiglione die Freunde Pietro Bembo, Ludovico da Canossa, Bernardo da Bibbiena, Gasparo Pallavicino und viele andere bedeutende italienische Persönlichkeiten des frühen 16. Jahrhunderts an vier aufeinander folgenden Abenden über die Qualitäten des idealen Hofmanns (cortegiano) und der vollendeten Hoffrau diskutieren. Zwei Frauen, die Herzogin Elisabetta Gonzaga und ihre Schwägerin Emilia Pia, nehmen den Vorsitz ein, wobei Emilia Pia die Aufgabe zufällt die Gespräche zu moderieren. Castiglione inszenierte in seinem Werk die ideale höfische, das ist zu dieser Zeit eine humanistische, Gesellschaft, ihre Konversations- und Umgangsformen und setzte damit dem Hof von Urbino ein literarisches Denkmal.

Grazia (Anmut), misura (Ausgewogenheit), ingenio (Geist) und arte (Kunst) sind immer wieder auftauchtende Kernbegriffe. Leitmotivisch werden dabei folgende Merkmale des idealen Hofmannes gefordert:

Sprezzatura, mit der man ohne sichtbare Anstrengung seine Aufgaben bewältigt eine humorvolle Gesinnung und schlagfertige Konversation eine elegante, urbane Lebenshaltung unbedingte Aufrichtigkeit in der Konversation mit dem Fürsten Gewandtheit im Umgang mit Frauen und Bildung in den schönen Künsten und erwähnt darunter insgesamt 16 mal die Reitkunst.

Der Text lehnt sich bewusst in Form und Inhalt an Werke antiker Autoren wie Schriften Ciceros ('De oratore') und Platos ('Politeia') an. Schon bei seiner Veröffentlichung 1528 war das Buch über den Hofmann ein Publikumserfolg. Es wurde im sechzehnten Jahrhundert ins Spanische, Französische, Lateinische und Deutsche übersetzt. Sir Thomas Hoby schuf in der Nachfolge von Castigliones 'Cortegiano' die Abhandlung über 'The Courtyer' (1561) und Lukasz Górnicki beschrieb das Ideal des polnischen Hofmanns in 'Dworzanin polski' (1566). Georg Engelhard Loehneysen (1606) schreibt in seinem Buch über das Pferdewesen ein umfangreiches Kapitel über den Hofmann.

Die Wiederentdeckung der antiken Autoren sowie "die Entdeckung der Welt und des Menschen", wie Jacob Burckhardt es in seiner 'Kultur der Renaissance in Italien' (1860) in Anlehnung an Jules Michelet formulierte, führte zu einem geradezu leitbildhaften Idealtypus vom Menschen: dem allseits gebildeten und sich ständig perfektionierenden 'uomo universale' - dem Universalmensch.

Exemplarisch sahen schon die Zeitgenossen diese Idee in Leon Battista Alberti (1404-72) und Leonardo da Vinci (1452-1519) verkörpert. Die Natur des Menschen ist grundsätzlich dynamisch und auf ständige Erweiterung seines von der Natur gegebenen Potentials angelegt, das Überschreiten der Grenzen sowie die Entwicklung hin zu einem in Kunst und Wissenschaft gebildeten aber auch im Tanzen, Fechten, eben auch Reiten erfahrenen vollendeten Menschen wird geradezu als Pflicht des Menschen betrachtet. Die Reitkunst mit ihrere gestalterischen Komponente scheint besonders geeignet diesen universalen Anspruch zu stellen.

Indem der cortegiano das Möglichkeitspotential des Menschen reflektiert und Universalität als hohe moralische Verpflichtung fordert, werden Gedanken antiker Autoren wie Cicero wiederaufgenommen. Für die stoischen Philosophen war ein reiner Machtstaat und der reine Machtmensch auf das Niveau seiner tierischen Natur begrenzt.

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